Diese individuellen Erfahrungen, gekoppelt an die Tasten des »Vorstellungsklavier«“ machen sich Sprachkünstlerinnen zur Generierung ihrer Sprachbilder zunutze. Die Rezeption des Sprachbildes bringt weitere Vorstellungen hervor, Schablonen werden übereinandergelegt, die Sprachkonturen weich. Der Vorhang fällt, die Vorstellung beginnt.
Für eine Ausstellung im schweizerischen Wallis gestaltete ich eine Installation mit dem Titel Kippel telefoniert (siehe Ausschnitt auf Abb. 6). Kippel, der Ausstellungsort, ist ein kleines Dorf im Wallis mit wenigen hundert Einwohnern. Die Installation bestand aus einer Geräuschkulisse von Telefongesprächen, Notizen aus Telefonaten und zehn Aquarellen. Bei dieser ortsspezifischen Arbeit wurden Bewohner des Ortes gebeten, mit der Künstlerin zu telefonieren und ihr Orte im Dorf oder der Umgebung zu beschreiben. Die Bilder in der Installation zeigten also jene Orte, welche sich die Künstlerin von den Bewohnern am Telefon beschreiben ließ und diese dann aus ihrer Vorstellung in Aquarell und Worten wiedergab. Interessant an den Bildern war weniger, inwieweit sie einer Wirklichkeit nahe kommen, als die Wortvorstellungen der Erzählerinnen und Hörerinnen, welche die Vorstellungen der Orte hervorriefen und im gemeinsamen Dialog neue bildhafte Schablonen zeigten. Die Sprache, welche im Wallis von einem starken regionalen Dialekt geprägt ist, durchzieht in dreifacher Form diese Arbeit: zuerst als Kommunikationsmittel am Telefon mit der österreichischen Künstlerin (sie ist dem Walliser Dialekt nicht mächtig), dann als Sprachbild sinnbildlich für die Vorstellungen der Erzählerinnen zu ihren beschriebenen Orten, und schließlich im Aquarell als Platzhalter für bildhafte Informationen. Die Telefonverbindung ist gleichsam das Rauschen, in welchem sich Signale zu Schablonen transformieren, die wiederum übereinandergelegt werden zu neuen dialogischen Bildern.
Diese dialogischen Bilder und Konzepte sind es, was Sprachbilder sind und hervorrufen. Die bildende – im Sinne von Bilder generierende – Kunst nutzt also die Sprache durch Vorstellungen, welche Begriffe hervorzurufen imstande sind. Der Begriff der „Vorstellung“ erinnert auch an einen performativen Akt, eine Theatervorstellung, er evoziert Bilder wie Bühne, Inszenierung, Bewegung, Aktion. Die Theatervorstellung ist eben auch ein Perzept, ein künstlerisches Wahrnehmungsobjekt mit zeitlichem Ablauf, Prozess. Der Begriff „Bild“ hingegen wird meist als statischer Begriff gebraucht, daher wäre der Begriff Sprachbild irreführend, wenn er als statisches Bild gedacht wird. Die Denotationen sind über weite Strecken statisch (Glasersfeld spricht von den weißen und schwarzen Tasten am »Vorstellungsklavier«), die Konnotationen jedoch verleihen dem Sprachbild eine Eigendynamik, die nie abschließend festgestellt werden kann. Was ein Sprachbild ist, kann weit weg oder sehr nah an einer Definition im Wörterbuch sein, oder eine Abstraktion in der Vorstellung. Im besten Fall funktioniert das Sprachbild wie eine weiche Schablone, die auf etwas anderes verweist und gleichzeitig für sich, in seiner Verweis-Funktion eine Rolle einnimmt. Die Rolle als Verweis-Funktion bringt wieder den performativen (theatralischen) Akt ins Spiel, wo auch Charaktere für etwas stehen oder auf etwas verweisen, oder Elemente des Bühnenbildes etwas symbolisieren etc. Die Performanz des Sprachbildes könnte man auch als (Theater-)Vorstellung im Kopf bezeichnen.
S. 58ff in: Weiche Schablonen